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Philosophischer Gesang. Zucchero Zarathustra

Am Museumseinlass in Milano erwiderte ich, nach dem Beruf befragt, „Philosoph“, weil das ja in gewisser Weise das ist, was ich gelernt habe. Die junge Dame schaute mir tief in die Augen, ich glaube, sie wollte meine Hand ergreifen, und fragte: „Ah! Philosoph! Welche Richtung denn?“ Auch in Deutschland hätte ich bei solchen Gelegenheiten mit derselben Antwort Erfolg. Lacherfolg. „Philosoph? ja nee, ne?" Oder sie würde mir etwas von Sartre erzählen wollen. Also da lieber nichts sagen.

Es ist durchaus wahrscheinlich, dass die Italienerin bei „Richtung“ hier, vielleicht etwas im Nebel, an Links- oder Rechtshegelianer oder an Sprachphilosophie und Phänomenologie gedacht hat. Was das alles sei, hat sie nämlich in der Schule gelernt, wenn man das so sagen kann. In

italienischen Gymnasien ist Philosophie in der Oberstufe Hauptfach. Vier Stunden in der Woche! Da wundert sich, wer aus Deutschland kommt. Der Italiener aber wird seinerseits die Augen aufreißen: Was? In Deutschland wird nicht Philosophie unterrichtet? Wo die Wolffs und die Kants und all die doch da herkommen? Ägel? Seltsam ists schon, dass wir da bei uns höchstens ein bisschen Ethik machen, wo die ganze Sache ja erstens aus Griechenland und zweitens aus Deutschland stammt wie die Musik, von der wir auch nichts hören.


So viel Philosophie nel paese del sì e del mi (Aretino) sollte allerdings nicht zu paradiesisch scheinen, denn in den Schulen Italiens geht es, mit dickem Lehrbuch, dreibändig, in strammem Ritt durch die ganze Philosophiegeschichte von Parmenides bis etwa Wittgenstein. Gespräche zwischen Lehrerinnen berühren Fragen wie die, ob die oder der Averroes schon behandelt habe oder noch bei Ibn Sina stehe. „Grad gemacht!“ lautet die fröhliche Antwort. Morgen werde geprüft. Zu Abfragematerial werden hier naturgemäß etwa auch philosophische Bösewichter wie Le Mettrie  festgetreten oder zertrampelt, auch der arme verrufene (Calasso) Max Stirner und, nun, Friedrich Nietzsche. Welchen Namen sie da im Süden als „Niätzke“ lesen würden und mitunter tun, solange kundige Gedankenvermittler das nicht so falsch schreiben, dass die italienische Aussprache für deutsche Ohren richtig klingt. Vergessen wir den polnischen Edelmann pur sang.Der Mann heißt Nice. Eben Nietzsche.

Nice reimt sich auch recht schön zum Beispiel auf das konjugierte Verb „dice“ (er, sie, es sagt). Die Prüfungsfrage könnte also etwa, leicht komprimiert, lauten: „Nice che dice?“ Nietzsche, was sagt er? Und die schülerseitige Antwort, weil da wieder einmal jemand nicht gelernt und den Textauszug aus dem „Zarathustra“ nicht vorbereitet hat, könnte gut lauten: „Boh“, dem kulturellen Äquivalent von „Weeß icke!“ Das gäb eine nette Dichtung, eben:

„Nice che dice? – Boh”

wär aber rhythmisch und ermüdend wie so ein Lehrerleinsdasein, wenn der Schüler, die Schülerin hier nicht explodierte wie in Zuccheros Lied.


Nebenher: Ein zweiter und dritter intressanter Reim auf Nice, also Nietzsche, stammt vom Dichter Guido Gozzano: camicie (Hemden) – Nice – felice (glücklich):


Hymne auf das Fräulein Felicita

Du machst keine Verse. Schneidest die Hemden (camicie)

Für deinen Vater zu. Hast die zweite Klasse besucht

Die Welt sei rund, hat man dir gesagt,

aber du glaubst es nicht .. und denkst nicht über Nietzsche nach

Du gefällst mir. Du würdest mich glücklicher machen (più felice)

Als eine intellektuelle Seufzertussi (naja: „gemebonda?“)


Die Explosion nach Herrn Zucchero hingegen:

Nice che dice (boh) (neunmal)


„Chi se ne frega“, nun: “Wen intressiert denn?” oder eher, nämlich angemessen vulgär:

“geht mir am Tralala vorbei”, was? „dieci e lode“, so etwas wie die Note “eins plus” (15 Punkte?).


Die gute Note ist uns also egal.

„Ich glaube nicht an Supermen“: Der Übermensch, auf Italienisch, wird meistens als „superuomo“ übersetzt, also den der über … steht. Erst Vattimo hatte die Idee, es als „oltreuomo“ zu übertragen, also den, der über .. geht. Die klassische Variante übersetzt natürlich auch den englischen „Superman (Clark Kent)“. An solche glauben wir also nicht.


„Was glaub ich denn?

Ich glaub an die Füße

Und an die Hände

Wer sich zufriedengibt, gewinnt („gode“: „genießt“ auch im sexuellen Verstande)

Denn also sprach

Get down

Kamasutra (boh, boh)“

Nice che dice (boh)

Nice che dice (boh, boh)

Nice che dice (boh)

Nice che dice (boh, boh)

Nice che dice (boh)


„Es gibt keine Grenze

Zwischen Gut und Böse

Es gibt kein Ende, nie

So viele Worte

Nichts Gutes

Nichts Böses

Oh Mamma mia, was für ein Stress, ich bleib alleine”.


 Gymnasiastenleben eben, und, kommt ja vor:

„Single man, single man

Desperado“ (viermal)


„Kein Tag vergeht

Ohne Schläge

Mut und Hilfe ja

Nur keine Eile

Die Zeit hat Zeit, weißt du

Ach gib Frieden und geh!

Denn also sprach

Get down

Kamasutra“


„Single man, single man

Desperado“ (viermal)


„Geht mir am Dingdingdong vorbei

(Nice che dice boh) Hab Kopfschmerzen

(Nice che dice boh, boh) Ich glaube nicht an Supermen

(Nice che dice boh) Jetzt reichts

(Nice che dice boh, boh) Ich glaube an die Füße

(Nice che dice boh) Und an die Hände

(Nice che dice boh, boh) Ach, gib dich zufrieden und genieße

(Nice che dice boh) Denn also sprach

Get down, uh

Get down

Kamasutra“.


Gegen die Philosophie, allzeit ein Philosophisches. Get down.

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