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Fabrizio de André auf der Straße

Bei allem was heilig ist, sind es die passeggiatrici, Spaziergängerinnen, wie sie auf Italienisch auch heißen, ganz sicher. Konstantin Wecker besingt daher die Straßenhure, wie wir sie noch erlebt haben werden: „Ihr habt sie einfach nicht gesehn / wenn sie so zum Vergehen schön / mit diesem leichten hohen Gang / betörend ihre Tasche schwang“. In Deutschland ja inzwischen fast nur noch außerhalb der Innenstadt, irgendwo in einer Industriezone. 


In Italien stehen und gehen sie hingegen, wie bekanntlich die Sünde überhaupt, ein wenig überall, an irgendeiner städtischen Straße vielleicht, an manchen Landstraßen: ein paar Büsche müssen da sein, ein wenig Platz zum Parken, wo dann unter Umständen die Autos sehr plötzlich bremsen, als wäre der Fahrer von einem Sündenblitz getroffen worden. Als Fahrradfahrer muss einer so etwas voraussehen.

Vor ein paar Jahrzehnten noch zündeten die Huren, mitunter naturgemäß auch verwandelte oder nur verkleidete Männer, „du erkennst sie an den Füßen!“ klärten mich Freunde auf, in Winternächten Feuer an, das dann wie vorgeschichtlich in den nächtlichen Mailänder Nebel hineinleuchtete. Fuhr ein Auto vorbei oder auch ein Bus, öffneten sie gern ihre dicken Pelzmäntel und stellten aus, was sie anzubieten hatten. 


Hinter den großen Parks im Mailänder Westen stand damals jeden Abend im Sonnenuntergang eine bekleidete Dame und zog stolz lächelnd ihre sehr jugendliche Tochter im Licht der vorbeigleitenden Scheinwerfer aus. Nicht umsonst war ja die Puttantour eine der Hauptattraktionen einer sonst nicht besonders aufregenden Stadt. Junge Klassenkämpfer, sehr katholische Mädchen, freigelassene Neopatentati (die mit neuem Führerschein), gelangweilte Zugereiste, eigentlich alle, die nicht im Kreise der Familie zu Hause saßen,  fuhren im Auto auf der Circonvallazione esterna, hielten immer mal bei einer oder einem Angebotenen an, ließen das Fenster herunter und fragten, wenn diese oder dieser sich näherte, nach dem Preis für, sagen wir, un pompino! (blasen) und brausten dann davon. Heidenspaß. Es gab sogar T-Shirts mit der besten Route, wo die Sammelfelder von Frauen und von Jungs, von Mädchen und von Transen eingetragen waren. Ich wohnte am Stadtrand, gleich bei Baggio, wo die echten Rapper herkommen und die Leute Rifondazione comunista oder auch die Neugründung der anderen Seite wählten und von wo heute jeder Politiker, der dem Volke nahesteht, aufgewachsen sein will, etwa Salvini und der Mann von Frau Meloni. Der eine kommt aus der Stadtmitte, der andre aus dem Hochnasenprovinzstädtchen Monza, ist ja aber egal. In Baggio sind die Straßendamen für die Sexualerziehung der Jungs zuständig. Da gab es nirgends ein "Ab 18". 


Ich fuhr jedenfalls Fahrrad, und zwar ein superleichtes superrotes ... Als Fahrradfahrer stellte sich diese Welt anders dar.  Einmal hatte sich ein Spaßvogel aus dem Autofenster gelehnt, um mich auf meinem Rad mit einem scherzhaften Schlag auf den Rücken in den Graben oder sonst wohin zu befördern. Ein Ruf von der anderen Straßenseite „Amore! Attento!“ warnte mich rechtzeitig. „Auf Diamanten wächst nichts/ auf dem Mist wachsen die Blumen“, singt Faber.


Nun gibt es gute Gründe, diese Straßenhurerei ganz schrecklich zu finden, weil wir ja von der Gewalt darin wissen. Fabrizio de André vereinfacht die Szene aber so sehr, dass wir nur die Schönheit wahrnehmen, die dieses Dastehen, dieses Sichanbieten, dieses Sichverschenken, dieses Fallen und Verehren andrerseits auch haben. Wir lieben dieses Mädchen. Vielleicht leiden wir mit ihm? Es ist, weil wir Menschen sind. Das ist so einfach und so schön, manchmal.


Feldstraße, da steht eine Grazie

Die großen Augen von der Farbe der Blätter

Die ganze Nacht steht sie auf der Schwelle

Verkauft allen dieselbe Rose


Feldstraße, da steht ein kleines Mädchen

Mit Lippen in der Farbe des Taus

Die Augen so grau wie die Straße

Wo sie geht, wachsen Blumen


Feldstraße, da steht eine Nutte

Die großen Augen von der Farbe der Blätter

Wenn du Lust bekommst, sie zu lieben

Reicht es, sie an der Hand zu nehmen

Und es wird dir vorkommen, als wärst du weit weg

Sie schaut dich mit einem Lächeln an

Du hättest nicht geglaubt, das Paradies

Nur dort sei, im ersten Stock


Feldstraße, da geht ein Verblendeter

Will sie bitten, ihn zu heiraten

Wird sie sehen, wie sie die Treppe hochgeht

Solange die Balkontür zu ist


Liebe und lache, wenn die Liebe antwortet

Weine laut, wenn sie dich nicht hört

Auf Diamanten wächst nichts

Aus dem Mist wachsen die Blumen


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