Bei allem was heilig ist, sind es die passeggiatrici, Spaziergängerinnen, wie sie auf Italienisch auch heißen, ganz sicher. Konstantin Wecker besingt daher die Straßenhure, wie wir sie noch erlebt haben werden: „Ihr habt sie einfach nicht gesehn / wenn sie so zum Vergehen schön / mit diesem leichten hohen Gang / betörend ihre Tasche schwang“. In Deutschland ja inzwischen fast nur noch außerhalb der Innenstadt, irgendwo in einer Industriezone.
Vor ein paar Jahrzehnten noch zündeten die Huren, mitunter naturgemäß auch verwandelte oder nur verkleidete Männer, „Du erkennst sie an den Füßen!“ klärten mich Freunde auf, in Winternächten Feuer an, das dann wie vorgeschichtlich in den nächtlichen Mailänder Nebel hineinleuchtete. Fuhr ein Auto vorbei oder auch ein Bus, öffneten sie gern ihre dicken Pelzmäntel und stellten aus, was sie anzubieten hatten.
Hinter den großen Parks im Westen stand damals jeden Abend im Sonnenuntergang eine bekleidete Dame und zog stolz lächelnd ihre sehr jugendliche Tochter im Licht der vorbeigleitenden Scheinwerfer aus. Nicht umsonst war ja die Puttantour eine der Hauptattraktionen einer sonst nicht besonders aufregenden Stadt. Junge Klassenkämpfer, sehr katholische Mädchen, freigelassene Neopatentati (die mit neuem Führerschein), gelangweilte Zugereiste, eigentlich alle, die nicht im Kreise der Familie zu Hause saßen, fuhren im Auto auf der Circonvallazione esterna, hielten immer mal bei einer oder einem Angebotenen an, ließen das Fenster herunter und fragten, wenn diese oder dieser sich näherte, nach dem Preis für, sagen wir, un pompino! (blasen) und brausten dann davon. Heidenspaß. Es gab sogar T-Shirts mit der besten Route, wo die Sammelfelder von Frauen und von Jungs, von Mädchen und von Transen eingetragen waren. Ich wohnte am Stadtrand, gleich bei Baggio, wo die echten Rapper herkommen und die Leute Rifondazione comunista oder auch die Neugründung der anderen Seite wählten und von wo heute jeder Politiker, der dem Volke nahesteht, aufgewachsen sein will, etwa Salvini und der Mann von Frau Meloni. Der eine kommt aus der Stadtmitte, der andre aus dem Hochnasenprovinzstädtchen Monza, ist ja aber egal. In Baggio sind die Straßendamen für die Sexualerziehung der Jungs zuständig. Da gab es nirgends ein "Ab 18".
Ich fuhr jedenfalls Fahrrad, und zwar ein superleichtes superrotes ... Als Fahrradfahrer stellte sich diese Welt anders dar. Einmal hatte sich ein Spaßvogel aus dem Autofenster gelehnt, um mich auf meinem Rad mit einem scherzhaften Schlag auf den Rücken in den Graben oder sonstwohin zu befördern. Ein Ruf von der anderen Straßenseite „Amore! Attento!“ warnte mich rechtzeitig. „Auf Diamanten wächst nichts/ auf dem Mist wachsen die Blumen“, singt Faber.
Nun gibt es gute Gründe, diese Straßenhurerei ganz schrecklich zu finden, weil wir ja von der Gewalt darin wissen. Fabrizio de André vereinfacht die Szene aber so sehr, dass wir nur die Schönheit wahrnehmen, die dieses Dastehen, dieses Sichanbieten, dieses Sichverschenken, dieses Fallen und Verehren andrerseits auch haben. Wir lieben dieses Mädchen. Vielleicht leiden wir mit ihm? Es ist, weil wir Menschen sind. Das ist so einfach und so schön, manchmal.
Feldstraße, da steht eine Grazie
Die großen Augen von der Farbe der Blätter
Die ganze Nacht steht sie auf der Schwelle
Verkauft allen dieselbe Rose
Feldstraße, da steht ein kleines Mädchen
Mit Lippen in der Farbe des Taus
Die Augen so grau wie die Straße
Wo sie geht, wachsen Blumen
Feldstraße, da steht eine Nutte
Die großen Augen von der Farbe der Blätter
Wenn du Lust bekommst, sie zu lieben
Reicht es, sie an der Hand zu nehmen
Und es wird dir vorkommen, als wärst du weit weg
Sie schaut dich mit einem Lächeln an
Du hättest nicht geglaubt, das Paradies
Nur dort sei, im ersten Stock
Feldstraße, da geht ein Verblendeter
Will sie bitten, ihn zu heiraten
Wird sie sehen, wie sie die Treppe hochgeht
Solange die Balkontür zu ist
Liebe und lache, wenn die Liebe antwortet
Weine laut, wenn sie dich nicht hört
Auf Diamanten wächst nichts
Aus dem Mist wachsen die Blumen
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