Die italienische Nationalfahne hat ja so etwas Nettes. Ihre Farben erinnern an gemischtes Eis aus Zeiten, in denen es noch Waldmeister gab und niemand denkt was Böses, wenn besagtes Tuch überall im Lande herumhängt. Rot, Weiß und Grün haben aber als solche wenig mit der italienischen Menschenseele zu tun. Singen, weinen, schreien und röcheln hören wir Italiener nämlich nur bei der Farbe Blau.
Davon haben sie aber zwei oder drei und alle denkbaren Seelenverwerfungen färben sich nach einer von ihnen. Aber nach welcher?
Die alten Griechen sollen gar kein Wort fürs reine Blau gehabt haben. Wir haben eins, welches auch, blau sein, mit Suff zu tun hat oder, ins Blaue, mit fröhlicher Ungewissheit, schließlich vom Himmel herab gelogen werde. Die Italiener aber haben azzurro und blu. In Liedern beschreiben beide den Himmel und das Meer, bei Celentano auch il pomeriggio d’estate, den Sommernachmittag.
„Azzurro“ heißt Celentanos Song, geschrieben vom Genie: Paolo Conte und Vito Pallavicini. Das Lied hat auch die Toten Hosen und Rummelsnuff zum Mitsingen inspiriert. „Azzurro heißt blau“, lernten wir von Peter Rubin in einer früheren deutschen Version. Was aber hieße dann blu? In „Volare“ (Fliegen) kommt der Himmel vor „nel blu, dipinto di blu“ („im Blau gemalt im Blau“). Also wie? Wann ist blau blu, wann azzurro?
Fragten wir, wie es Linguistinnen tun, „ausgebildete Muttersprachler“, bekämen wir verschiedene Antworten und jeder der Antwortenden wäre, wie das bei der durchschnittlichen Menschheitsintelligenz so ist: die feste Überzeugung ist die Leine der Doofen, absolut von der eigenen Version eingenommen. Nach der einen umfasste azzurro das gesamte Blauspektrum. In den Naturwissenschaften gebraucht man das zum Beispiel so. Nach der anderen wäre azzurro das hellere Blau des heiteren Himmels, während blu eben dunkler wäre. Kurz: Jeder gebraucht es so, wie er es mag. Übrigens gibt es dann noch celeste (himmlisch(blau)) als Farbadjektiv.
Der principe azzurro ist jedenfalls der Märchenprinz. Fürs Blut, wenn es blau ist, gebrauchen wir blu, ebenso für die dunkelblauen Dienstwagen hoher Amtsträger, von denen es in Italien naturgem.. mehr gibt als etwa Klempner. Azzurro ginge also mehr in Traumrichtung? Blu in Amt und Würde?
Azzurro ist seit 1910 die Trikotfarbe der italienischen Nationalmannschaft und aller sonst international auftretenden italienischen Sportler/innen. Das sind gli azzurri. Ziemlich dunkelblau eigentlich. Soll in Anlehnung an den Mantel der Mutter Gottes entstanden sein.
Wenn dann Berlusconi darauf bestand, die Vertreter seiner politischen Privatpartei Forza Italia ebenfalls gli azzurri zu nennen, womit er sich aber nicht durchgesetzt hat, wird eigentlich klar: Was nun wie hell oder dunkel sei? Weiß niemand. Aber blu ist eher was für Geschäftsanzüge. Azzurro färbt Italiens Seele. Es hat mit dem Meer und dem Himmel zu tun.
Wenn Amalfitano „Azzurrissimo“ singt, geht es also im Superlativ auf das Italienische. Hier aus Mailänder Perspektive. Es geht um den Spätfrühlingsfreudenhimmel Richtung Meer, den jeder kennt, der in der grauen Stadt gelebt hat. Endlich Sonne! Ab Ostern verbringt der Mail.nder seine Freitagabende auf der Autobahn Richtung Ligurien. Sonntagabends zurück. Am Wochenende in der Stadt zu bleiben, gilt als unzumutbar, was man der Stadt ja auch ansieht. Azzurro ruft. Amalfitano singts. Aber nicht einfach so drauflos, denn andere haben auf dieses Feld schon ihre Worte gebreitet.
Carambolando da Milano: aus Mailand runterkarambolierend?
siamo finiti al mare: sind wir am Meer gelandet
Mare mare: Meer, Meer,
ach … mare reimt auf amare (lieben), remare (rudern), cantare (singen) oder, beim Meister Battiato auf annegare (ertrinken).
Mare mare könnten wir demnach als Zitat betrachten. Derweil herrscht gute Laune: der Frühling strampelt und du bekommst Lust zu singen. Singen und wieder singen.
E scalcia questa primavera
Ti viene voglia di cantare
Cantare ricantare
Doch dann .. erschreckt uns dieser Frühling, oh:
Ma quanto ci spaventa questa primavera.
Con la sua fretta. Mit seiner Eile. Ach: Wieder ein Zitat: Verfluchter Frühling, maledetta primavera von Loretta Goggi, die fragte nämlich so:
Che resta dentro di me?
Di carezze che non toccano il cuore
Was bleibt (in) mir?
Von Zärtlichkeiten, die nicht das Herz berühren?
Oh.
Und im Refrain: Che fretta c’era/ maledetta primavera: Warum diese Eile? Verfluchter Frühling. Ja. In der Liebe …, aber Amalfitano bügelt die Eile zunächst:
Pass auf, lauf! Der Zug fährt
Du wirst wirklich glücklich sein
Attento corri prendi il treno
Sarai felice per davvero
Nun die Liebe:
Aber diese süße Angst jetzt
Ma che dolce paura che fa
Azzurrissimo
Riecht nach Zitrone
Und auch die Liebe überrascht dich von neuem
Riecht nach Zitrone
Ich hab gar nichts, lass mich einfach in Ruhe
Ha l′odore di limone
Ti risorprende anche l'amore
Azzurrissimo
E ha l′odore di limone
Non ho niente lascia stare
Carambolando da Milano
Ci siam finiti dentro: sind wir da reingerutscht
Zu schnell
Und dass du ihn liebhast, das sieht man
Und dass er nicht wei., was er machen soll
Troppo presto
E tu si vede gli vuoi bene
E lui che un po' non sa che fare
Und ich? Hier und erzähle
Unser zerklüftetes Leben
Das ins Meer stürzt
Mare, mare! Das teilt die Sommerwelt mit ihren Träumen und Lieben von der Winterwelt. Weshalb eine Italienerin oder einen Italiener im Sommer kennenzulernen leicht einmal etwas ganz anderes ist als im Winter, so etwa ab Totensonntag. Weshalb an
der Kluft leicht einmal die Liebe abstürzt und verloren geht.
E io qui a raccontare
La nostra vita frastagliata
Che cade a picco sul mare
Mare mare
Der Rest Stimmung:
Und Lichtreflexe auf den Steinen
Die Mofas (frisiert) die T-Shirts im Wind ein leichtes Zittern
E riverberi di luce sulle rocce per il sole
I motorini le magliette al vento un piccolo tremore
Azzurrissimo
Ha l'odore di limone
Ti risorprende anche l′amore
Azzurrissimo
E ha l′odore di limone
Non ho niente lascia stare
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