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The Raven. Baustelle

Wenn in Deutschland einer Französisch in der Schule wählt, könnte er oder sie oder was mit Baudelaire in Berührung kommen. Wahrscheinlicher ist, weil die so modern sind da, kleine Sachen von Amélie Nothomb oder Cioran, was ja auch nett. In andern Fächern jedenfalls hat so etwas bei uns zu Hause keinen Platz. Fach ist Fach. Nichts Fremdes rein, bitte. Deutsch Deutsch, Englisch Englisch.

Das italienische Gymnasium ist naturgemäß recht eigentlich sehr furchtbar wie alle diese heruntergewohnten Bildungsanstalten, hat aber, wenn es um Literatur geht, zwei Besonderheiten. Erstens gehen sie da historisch vor und arbeiten schwergewichtige Handbücher durch. Zweitens gibt es auch im Italienischunterricht übersetzte Ausländer, Sprachfremde zu lesen. Eine italienische Abiturientin weiß daher, auch wenn sie kein Französisch und kein Deutsch gewählt hat, was ja übrigens niemand mehr tut, wer Kafka, wer Poe und wer Baudelaire seien.


Fragte daher die Schülerin, zurück von ihrem Aufenthalt in meinem Heimatland: „Prof, wieso sind die alle so ignorant da?“ Tja, ergänze ich: „Und stehen da herum und gucken und sehen nicht, weil sie nicht die Wörter haben“.

Baustelle, diesmal singt nur Bianconi, greift stracks die verfemten Dichter auf, die in Italien jede aus der Schulzeit kennt. Der Corvo Joe, das ist der Raven von Edgar Allen Poe, das Joe verbreitete Pop-Zutat. 

And the Raven, never flitting, still is sitting, still is sitting

On the pallid bust of Pallas just above my chamber door;

And his eyes have all the seeming of a demon’s that is dreaming


Et le corbeau, immuable, est toujours installé, toujours installé 

sur le buste pâle de Pallas, juste au-dessus de la porte de ma chambre; et ses yeux ont toute la semblance des yeux d’un démon

qui rêve


Übersetzt von Baudelaire, dem Leitpoeten. Hier aber, im Lied von Baustelle, singt der träumende Dämon selbst. Was seine Augen sehen:


"Ich kau die Eidechse, die Penner schaun zu

Auch heute ist Sonntag, die Leute glänzen vor Gold

Während sie die Enten betrachten und ihr Glück erfinden".


Stopp! Italiener hatten ja auch vier Stunden Philosophie in der Oberstufe, heute sind sie ganz modern und machen drei. Und? Nichts, aber die Leute hier im Lied, das sind Nietzsches „letzte Menschen“, das Gegenstück zum angekündigten Übermenschen. Das sind wir.


„Wir haben das Glück erfunden“ 

— sagen die letzten Menschen und blinzeln.


"Ich flieg drüber weg und begreife, dass sie mich, den Anderen, verfluchen

Aber im Park wohn ich eben und mein Leben: Symbol sein

Der Angst und des Todes; Finsternis ist mein Gewand

Die Kinder lächeln: “Mama, guck mal, das Viech da!”

Die Bäume trösten mich, ich breite die Flügel aus und schwebe reglos

Den Schülern geh ich aus dem Weg, reiche Witwen sind mir lieber

Mit ihren Platinringen, ich bin ein Dieb, aber feiner Gentleman


Ich bin der Rabe Joe

Ich erschrecke euch

Passt auf, lasst mich in Ruhe!

Nur gewisse Dichter des Bösen können mich singen


Die Bürger setzen sich und lesen dann die Zeitung

Die Paare knutschen, es schlägt bald Mittag

Ohne Gnade, ich komme näher, krähe und flehe

Wenn ich nur heute einmal frei sprechen könnte

Freut mich, Rabe Joe, gibt’s was zu essen?


Ihr könnt nur Steine werfen

Ihr verdient, meinetwegen in den ewigen Schmerz zu kommen“, 

also in die Hölle.


Meritate di andare per me nell'eterno dolore.

Um genau zu sein, steht das auf Dantes Höllentor und das „per me“ wär ein „durch mich“, hier aber wird’s „für mich“/ „meinetwegen“. In Dantes Inferno:


Per me si va nella città dolente,

per me si va nell’eterno dolore,

per me si va tra la perduta gente.


Durch mich geht’s ein zur Stadt des Jammers,

durch mich geht’s ein zur endlosen Qual,

durch mich geht’s ein zu den verlorenen Menschen.

(Inferno III, 1–3, übersetzt von Hartmut Köhler)


"Ich bin der Rabe Joe

Ich mache Angst

Passt auf, lasst mich in Ruhe!

Nur gewisse Dichter des Bösen können mich singen


Aber ich vergebe euch

Denn im Herzen tragt ihr letztlich

Blut, dazu bestimmt, bald auszutrocknen

Ihr lebt zum Sterben". 


Vivete a morire


Il corvo, le corveau, the raven, der Rabe, der Rabe stirbt nicht.


Quoth the raven: “Nevermore.”

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