Haus oder Straße? Muss beides sein. Irgendwo wohnen ist sicher angenehm; kalt draußen. Ab und zu müssen oder wollen wir auch raus, uns auf den Weg machen, je nachdem: weil es von auswärts verheißungsvoll klimpert, weil der Russe kommt oder weil wir Hunger haben. Die Frage ist aber, ob wir vom einen oder vom anderen träumen. Haus oder Straße? Von der plüschigen Behausung mit Eichenfurnier oder von der Straße, vom windigen, verregneten Weg, der immer weiter führt.
In Italien, wo der auf dem Weg immer nur der ist, der Arbeit sucht in fremden Landen, ist das Haus der Traum. Warum auch nicht? Drinnen sind wir sicher. Keiner schnorrt, keine begrapscht, keiner beklaut, niemand prügelt oder schießt dich nieder. Tür zu, Gefahr gebannt! Ein italienischer Kopf sieht die tausenderlei Bedrohungen des außerhäusigen Lebens und Laufens weitaus klarer als andere. Supermarkt? Da klauen Zigeunerinnen dir die Kinder! U-Bahn? Da schneiden dir Zigeuner den Finger ab, um deinen Ring einzustecken! Spielplatz? Pädophile! Weshalb besagter Kopf immer gern das Auto nimmt, Türen blockiert, und damit das zu durchqueren empfiehlt, was einen da draußen, von außen, triefäugig blutgeil angrinst.
So auch als der oder das Virus unterwegs war. Das lauerte draußen, sagte man im Lande Arlecchinos. War nun ein Irrtum. Zu Hause ist eben auch nicht zu Hause. In Francesco Bianconis „Atlas der verfemten Häuser“ (Rizzoli 2021) geht es darum. Ich übersetze es
grade:
Ist er vielleicht nicht geflohen, Odysseus, wie Dante erzählt: von Schrecken ergriffen – nicht nur von Wissensdurst – nachdem er nach Hause zurückgekehrt war? Der Herd und die geliebte Frau hatten ihn erwartet, sicher, aber vielleicht auch Ungeheuer, die zu lange im Keller eingeschlossen gewesen und daher furchterregend geworden waren. Unmögliche Mitbewohner.“
Als Motto geht dem Buch eine Strophe aus Giorgio Gabers Lied „Da gibt es nur die Straße“, C’è solo la strada, voraus. Manchmal wird der Ironiker eben auch etwas pathetisch:
„Denn das Jüngste Gericht
Geht nicht durch die Häuser
Die Häuser, in denen wir uns verstecken
Wir müssen auf die Straße zurück
Auf die Straße, um zu erfahren, wer wir sind“.
Das Lied beginnt mit einer Erzählung, Liebeserklärung:
„Maria“, bei jedem Vortrag ändert sich der Name, „ich liebe dich. Maria, ich brauche dich. Dann drück ich sie an mich und küsse sie, eingemummt in Liebe und Klamotten. Und sie bewegt sich auch, glücklich über ihr Aussehen und unsere Liebe. Und das geht wunderschön weiter, Tag für Tag. Ein Schiff, das einen festen Kurs hält und uns gradeaus in ein Haus bringt, ein Haus nur für uns zwei, eine große Zärtlichkeit und die Tür geht zu“.
„In den Häusern
Gibt es nichts Gutes
Sobald sich die Tür schließt
Hinter einem Mann (Menschen?)
Es passiert etwas Seltsames
Da kann man nichts machen
Ein Verhängnis. Dieser Mann (Mensch)
Beginnt zu schimmeln
Da genügt ein Schlüssel
Der die Haustür verschließt
Und schon bist du nicht mehr derselbe
Und fühlst dich deprimiert“.
Bei „Schlüssel“ und „Haustür“ ist nicht an so ein deutsches Blatt, wie es ja heißt, mit Sicherheitsschloss zu denken, sondern an die landesübliche porta blindata, einbruchssichere Panzertür mit einem acht Zentimeter langen Schlüssel für ein Schloss, bei dem sich aus einem Metallkasten in der Tür drei Stahlstäbe in den Metallkasten im Türrahmen schieben, mitunter noch gesichert durch einen langen Stahlstab mit zwei Haken, die im Fußboden und in der Decke einrasten. Dazu sei erklärt: Wenn deine Nachbarn so was haben, musst du das auch einrichten, weil sonst alle die Räuber zu dir kommen würden. Das Schloss schließt sich recht beeindruckend bei Pantalone. Was natürlich eigentlich nichts ändert.
„Der Schlüssel ist schrecklich
Sobald er sich dreht
Sind wir in einem Zimmer.
Es wird gegessen, geschlafen und getrunken“.
Nun wird wieder erzählt:
„Ich habe viele Familien kennengelernt, die Familie kommt günstiger
und schützt mehr. Man kann alles gut planen, eine Suppe für alle, Beruhigungsmittel, Aspirin für alle, Monatsbinden, Dulcolax Dragees, nur 1,99, um die ganze Familie zu erlösen, ein Schnäppchen. Es wird geschissen in der Familie, gut geschissen, alle machen es zusammen“.
„In den Häusern
Gibt es nichts Gutes
Sobald sich die Tür schließt
Hinter einem Mann (Menschen?)
Ist dieser Mensch schwer
Und kommt auf der Stelle aus der Mode
Beginnt zu verwesen
Und sehr bald zu stinken
In den Häusern
Gibt es nichts Gutes
Alles riecht muffig da und nach Klo
Da wird gebadet, werden die Zähne geputzt
Aber wir stinken trotzdem
Liebste, ich verlass dich, verlass dich
Es gibt nur die Straße
Auf die du zählen kannst
Die Straße ist die einzige Rettung
Nur die Lust und das Bedürfnis gibt es rauszugehen
Sich auszusetzen auf der Straße und auf dem Platz
Denn das Jüngste Gericht
Geht nicht durch die Häuser
Und die Engel geben keine Termine
Und auch im größten Haus
Ist kein Platz zum Prüfen und zum Streiten".
Erzählung, siebziger Jahre:
"Laura, ich liebe dich. Laura. Ich brauche dich. Mit dir finde ich die Straße wieder, die Plätze, die jungen Leute, die Studenten. Ich habe sie vor ein paar Jahren mit Krawatte stehen lassen. Sie haben sich sehr verändert, sind sehr schön. Die Gedanken ja, die Gedanken haben sich
verändert, und auch ihre Reden und ihre Kleidung. Ihr Wesen weniger, das hat sich nicht sehr geändert. Sie gehen immer noch etwa immer zur selben Zeit in die Unterrichtsräume, um ein bisschen Medizin, Scheibchen Chemie, Stückchen Stadtplanung mit Öko-Einlagen
abzugrasen, und es gibt immer noch die Bar, für die eine oder die andere Pause. Und die Liebe, um sich ein Glück zu zimmern. So wie wir jetzt, ein Paar unter vielen Paaren. Der einzige Unterschied der Trip nach Indien im 2CV, zwei wie wir.
Und dann wieder eine Tür
Und wieder ein Haus
Aber wir sind ganz sicher
Das werde etwas anderes
Wir haben ja Erfahrung
Das kann nicht schief gehen
Wir haben auch einen neuen Schlüssel
Wir heben einen Yale (Supersicherheitsschlüssel)
Das ist eine ganz andere Beziehung
Viel weiter sind wir
Aber da gibt es wieder ein Haus
Mit neuem Aspirin und neuen Beruhigungsmitteln
Und wieder fühl ich, wie ich verwese
In einer anderen Familie, unserer, meiner
Sie umarmen, während ich auf die Tür schaue
Und auf mein Gedicht
Liebste, ich verlass dich, verlass dich
Es gibt nur die Straße
Auf die du zählen kannst
Die Straße ist die einzige Rettung
Nur die Lust und das Bedürfnis gibt es rauszugehen
Sich auszusetzen auf der Straße und auf dem Platz
Denn das Jüngste Gericht
Fegt nicht durch die Häuser
Im Haus hörst du die Trompeten nicht
Im Haus entfernst du dich vom Leben
Vom Kampf, vom Schmerz und von den Bomben
Lidia, ich liebe dich. Lidia, ich brauche dich. Aber, ich bitte dich, in einem möblierten Zimmer.
Denn das Jüngste Gericht …“.
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