Das große Gesangsfestival in Sanremo könnte ja deshalb interessant sein, weil dort immer auch Leute auftreten sollten, von denen man noch nicht viel gehört hat oder auch gar nichts. Da gibt es eigens eine Kategorie, gli esordienti, die Neulinge. Es sind deren drei.
Wenn der Moderator aber ein netter Quizmaster ist, der sich zwar Amadeus nennt, mit Musik jedoch nichts am Hut hat, wenn der dann zugleich den künstlerischen Direktor macht, dann setzt sich die Übermacht der strategisch sehr begabten Maria de Filippi durch, die ebenfalls mit Musik nichts am Hut hat, aber außer nachmittäglichen Treffen von sagenhaft gehässigen Hausfrauen eine sagenhafte Talentshow führt, so heißt ja das Verb.
Der junge Herr, humanistische Bildung bringt uns hinaus in die Welt, singt sogar ein Lied mit dem deutschen Titel „Wanderlust!“, in dem er zu einem für Italiener, die ja am liebsten im Auto auch aufs Klo fahren würden, revolutionären Entschluss kommt.
Sag mir nurIch, der ich echt mit Tränen das Meer gefüllt habe
Du weißt ich habe viele vergossen, bittere Tränen
Ist alles ein nimm es oder lass es, wo wir entscheiden
Du hast dich an der Hand nehmen lassen
Aber ich will nicht daran denken
Und ich hab Flugzeuge verpasst
Aber das Ziel ist eigentlich nicht so weit
Und ich hab Flugzeuge verpasst
Ohne Mittel zieh ich meinen Weg
Ich werde zu Fuß gehen.
In Sanremo trägt er nun etwa Folgendes vor:
Geh!
Mir ist gesagt worden, dein Schicksal formst du allein
Aber wenn ich jung sterbe
Hoffe ich, es wird vor Lachen sein
Mir ist gesagt worden, wenn du dich so lebendig fühlst
Schau nie zurück und geh uh uh
Schau nie zurück und geh uh uh
Schau nicht zurück und geh geh
Mir ist gesagt worden, halt auf die Sonne, aber nicht wie Ikarus
Dass die Welt zu groß sei, um klein zu denken
Aber wenn ich jung sterbe
werd ich was zu schreiben haben
Mir ist gesagt worden, warte auf den Morgen
Dann steckst du alles ein und gehst
Ich will nur leben
Will weinen, will lachen
Der Himmel ist die Grenze
Und halt dich fern von der Straße und vom Ärger
Schau nie zurück und geh uh uh ich will nur leben
Und vor Lachen weinen
Der Himmel ist die Grenze …
Schau nie zurück und geh uh uh
Weiterhin Wanderlust, kurz gesagt. Nun Alessandra Amoroso, bekannt für den Talentshow-Sieg mit „Stupida“:„Dumm (weiblich)“. Du schaust in den Spiegel, aber der antwortet nicht.
Platz eins der Charts.
In Sanremo singt sie:Rom schläft
Durch ein Wunder
Die Plätze
Die Cafés
Anti-Panik-Bonbons
Um 2:43
Wieder eine Regennacht
Gleitet wie ein Tropfen
Sie wissen nicht, dass es mir schlecht geht
Ist ihnen vielleicht auch egal
Ich nehme die Tasche
Ich laufe hinaus
Draußen ist es hundekalt (auf Deutch anders, ok)
Ich kann es doch allein
Nicht aushalten
Mit geschlossnen Augen
Über den Wahnsinn weg
Ein bisschen Wind genügt
Und alles fliegt weg
Vielleicht liegts daran
Dass ich dieses Leben nie ernst nehme
Und eines Tages wird mir das vielleiht leid tun
Aber jetzt nicht
Und auch wenn ich langsam falle
Von einem Hochhaus
Im Flug
Stock für Stock
Sage ich mir wieder
Bis hier alles ok
Was solls schon sein …
Hier erlaube ich mir, die Übersetzung zu unterbrechen. Das Bild des langsamen Fallens vom Hochhaus ist doch recht sehr erschütternd. Vielleicht ist der Text des dritten „Neulings“, nämlich Angelina Mangos, leichter zu verarbeiten. Die hat es ja im Blut, per dire, denn sie ist, im Lande, wo man nur was wird, wenn man im Hemd geboren ist, wie man hier sagt, Figlia d’arte, als Tochter zweier Sänger ein Kunstkind, getauft aber auch sie von Frau de Filippi in deren Talentshow.
Lang schon zu hören ist etwa „Darum kümmern wir uns morgen“, in dem es um eine Sommer-Liebe geht, was in Italien, wo die Moral ihre Jahreszeiten hat, ein dankbares Thema ist. Sommerhit 2023, wenn ich richtig sehe.
In Sanremo singt sie von der Langeweile. Das Thema fürs Fernsehen.So viele Zeichnungen habe ich gemacht
Sitze hier und schau sie an
Keine wird lebendig
Das Blatt da ist faul
Ich habe es eilig
Mir ist gesagt worden, das Leben sei kostbar
Ich ziehs mir über, Kopf hoch
Meine Kette ist nicht aus Perlen der Weisheit
Mir haben sie bunte Perlchen gegeben
Die für verkorkste Mädchen mit irgendeinem Trauma
Langsam aufzuknoten, wenn es größer wird
Oder ich bleib über Ostern, kein Drama
Ich glaub, ich zieh mal wieder um
Wenn ich bleibe, dann habe ich so eine“.
A me mi viene: Krieg ich so eine, mir kommt so eine, mit dem wiederholten Pronomen gewolltes Tussi-Italienisch. Aber was?
Die Langeweile (vier Mal).
Ich sterbe ohne zu sterben
An diesen abgegriffnen Tagen
Ich lebe ohne zu leiden
Es gibt kein größeres Kreuz
Es bleibt uns nichts, als in diesen verbrannten Nächten zu lachen
Eine Dornenkorne wird der Dress Code für mein Fest sein
Das ist die Cumbia der Langeweile
Das ist die Cumbia der Langeweile
Total
Ah, ist die Cumbia der Langeweile
Diesen ursprünglich schwarzen lateinamerikanischen Tanz hatte schon Adriano Celentano nach Italien gebracht.
So viele Leute sehen in allem nur das Schlechte
Du willst weglaufen, wenn sie nur zu reden anfangen
Ich möchte ihnen sagen, dass es mir gut geht, aber dann schauen sie mich böse an
Dann sag ich, es ist schwer, über die Runden zu kommen
Business redest du vom Business
Ih mach die Augen zu und unterschreibe Verträge
Princess, nennt dich Princess
Also jetzt hör ich mit dem Abwaschen auf
Ich sterbe ohne zu sterben
…
Ach, du schreibst Lieder?
Ja, Liebeslieder
Und ich will dich nicht langweilen
Irgendwer muss sie ja singen
Cumbia, ich tanz den Cumbia
Wenn ich stolpern kann, unterbreche ich wenigstens die Langeweile
Also gebe ich eine Party, geb ich eine Party
Nur so kann ich sie aufhalten
Aufhalten
Aufhalten, ah
Die Langeweile (vier Mal)
Ich sterbe, denn sterben
Macht die Tage menschlicher
Ich lebe, denn leiden
Erzeugt die größten Freuden
Es bleibt uns nichts, als in diesen verbrannten Nächten zu lachen
Eine Dornenkorne
wird der Dress Code für mein Fest sein
Das ist die Cumbia der Langeweile
Das ist die Cumbia der Langeweile
Total
Ah, ist die Cumbia der Langeweile
Die Cumbia der Langeweile
Total
Total
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