Passa ai contenuti principali

Roggenmuhme auf Italienisch. Vinicio Capossela.

Menschen, die nicht auf dem Lande aufgewachsen sind, erkennt man daran, dass sie sich das süß vorstellen, so als Kind über die Wege, die Wälder und durch Felder zu springen. Sie kennen nämlich die Angst nicht, die so ein Kinderleben auf dem Lande begleitet.

Sie denken, zu Recht auch, an die Freiheit der Kleinen, deren Verbleib herauszufinden niemandem in den Sinn käme, solange sie sich dann abends um sechs wieder zu Hause einfinden. Ob das heute noch so ist wie zu meiner Zeit, wie man das ja nennt, weiß ich allerdings nicht. Wir waren, kurz gesagt, so viele und wurden nicht als besonders wertvolle Erdenbewohner gehalten. Fast alle wuchsen wir irgendwie auf.
Angst aber war immer da. Angst vor Räubern, vor Wölfen, vor den Autos auf der Landstraße. Angst vor der Roggenmuhme, von der wir in unseren Fibeln gelesen hatten, vor der unser Lehrer warnte. Was eine Muhme sei, wussten wir aus dem elterlichen Kitzelgedicht von der Muhme Rehlen, das es schon Walter Benjamin angetan hatte

Unsere Kurzform:


Ich will dir was erzählen

Von der Muhme Rehlen

Von der Muhme Kinkerlitzchen

Die hat nen Floh im Hemdlein sitzen


Muhmen waren offensichtlich sowas wie die zahllosen robusten Tanten, die aus den Nebeln der westfälischen Verwandtschaft meiner Mutter immer mal auftauchten und wieder verschwanden. Die Kornmuhme aber ist ein fremdes Wesen, meist mit riesigen Brüsten oder Zitzen und langen struppigen Haaren gezeichnet. Sie treibt in Kornfeldern ihr Wesen, lässt das Korn gedeihen, wenn sie froh, oder verdorren, wenn sie sauer ist, aber vor allem lauert sie auf uns Kinder, wenn wir es wagen, ins Feld zu laufen. Da, hoch steht das Korn und dunkel ist alles vor und hinter uns, nähert sie sich von hinten, packt, würgt, frisst? vernichtet uns. Beklemmend ist daher die Angst, wenn ich hinter den andern, weil es nicht anders geht, den verbotenen Weg durchs Feld einschlage.


Wenn ich in Milano, wo ja auch fast alle vom Lande stammen oder dem, was davon übrig ist, nach solchen Wesen fragte, bekam ich keine Antwort, bis einmal eine junge Dame aus Friaul sagt, ja, so eine wie die Kornmuhme gäbs bei ihnen auch. Natürlich! Norditalien und die deutschsprachigen Länder haben doch ähnliche Traditionen, von der Butter bis zur Sau, die man durchs Dorf jagt. Herr Capossela findet so etwas auch im Süden. Wo immer Korn wächst, lebt offenbar eine Kornmuhme.


Die allgemeine Unwissenheit hat etwas damit zu tun, dass die in Italien, wie Pasolini schon beklagte, nicht nur ihre Dialekte aufgegeben haben und jetzt alle reden wie Paola Perego vom Fernsehen. Sie haben dabei auch alle Kinderlieder vergessen und alle alten Geschichten, wenn sie nicht über den Schirm wieder ins Haus und in den Kopf flimmern oder flattern.


Vinicio Capossela hat mit “Le canzoni della cupa” etwas von Erdhaltigkeit italienischer Bilder wieder belebt. Cupo heißt düster, la cupa ist als ein dunkles Gässchen vorzustellen, auch wenn die Lieder „della cupa“ von Vinicio Capossela zur Hälfte sonnenbeschienener daherkommen. Was sie alle auszeichnet, ist das Spiel mit der bäuerlich-folkloristischen Tradition. Das ist, nachdem die verdeckt

oder verschüttet worden ist, außer samstagnachmittags auf Rai 3: „Ich habe gehört, Sie machen hier eine ganz besondere Salami?“, verdienstvoll.


La Bestia kann das Tier sein oder die Bestie, hier letzteres, die Kornbestie.


„Uhsss fang die Kornbestie!

Uhss jag die Kornbestie!

Uhsss fang die Kornbestie!

Uhss jag die Kornbestie! Aèhh!

Fessle die Bestie ans .hrenbündel

Dass sie für unseren Ruin bezahlt

Halt sie fest, halt sie gut

Fessle sie an die letzte Garbe

Sie soll den Preis für die letzte Ernte zahlen! Aèhh! Aèhh!

Mähe, mähe mit der Sichel

Schrei aus voller Kehle

Denn wer schreit, der lebt noch!

Denn wer schreit, ist nicht tot! Aèhh! Aèhh!

Ist sie ein Fuchs? Ein Käuzchen? Eine Wachtel? Ein Wolf?

Sie schweift durchs Korn

Sie schweift durchs Korn

Ist sie ein Hase? Eine Gans? Ein Wolf?

Sie schweift durchs Korn

Sie schweift durchs Korn

Sie schweift durch die goldene Decke

Versteckt vor dem Kuss der Sonne

Läuft sie durchs Feld

Schneid ihr den Kopf ab, der Kornbestie

Fessle sie ans .hrenbündel

Es ist die letzte Garbe

Sie soll den Preis für die letzte Ernte zahlen

Die soll noch einmal wiederkehren

Wieder gedeihen, jetzt, wo sie tot ist“.


Nun wird es süditalienisch. „La controra“ wäre die „Gegenstunde“, was ja recht teuflisch klingt. Am Ende des Liedes taucht gar der Mittagsdämon auf. Die Sonne im Süden ist eben nicht unsre „liebe, liebe Sonne“, wird nämlich gern einmal höllisch, mittags, wenn Siesta angesagt ist, weil arbeiten unmöglich. „È l’ora della controra“ wäre also nett als “Es ist Mittagszeit” zu übersetzen, aber eben auch als:


„Es schlägt die Gegenstunde

Die Sonne ist schwarz geworden

Alles wird so müde

Es schlägt die Gegenstunde

Der Wille ist geleert

Gefüllt mit Trägheit und Lust

Die Tür ins Jenseits geht auf

In der Gegenstunde

Schrei löaut, Mäher

Schrei laut und verjag den Tod

Kuta kuta kuta kutà… Vicc’ vicc’… Yuuhh!

Uhsss fang die Kornbestie!

Uhss jag die Kornbestie! Aèhh!

Uhss jag die Kornbestie! Aèhh!

Der letzte soll sie kriegen

Der kriegt die Garbe der Schuld

Der Mäher der Schandtat

Kriegt die Schuld fürs zerstörte Feld, Aehh!

Die Sichel nimmt das Leben

Auch die Erde trägt Trauer

Der Tod holt den Samen

Er bringt ihn ins untere Reich! Aehh! Aehh!

Das Leben soll ins Kprn zurück

Dahin zurück, wo es weggenommen wurde! Aehh! Aehh!

Uhsss fang die Kornbestie!

Uhss jag die Kornbestie! Aèhh!

Ists ein Fuchs! Ein Hahn? Ein Hase? Ein Wolf?

Sie schweift durchs Korn

Ists eine Gans? Ein Hahn? Ein Hase? Ein Wolf?

Sie schweift durchs Korn

Sie schweift durchs Korn

Eine Gans? Eie Wachtel? Ein Wolf?

Sie schweift durchs Korn

Sie schweift durchs Korn

Sie schweift durchs Korn

Sie schweift durchs Korn

Es schlägt die Gegenstunde


Es schlägt die Gegenstunde

Des Mittagsdämonen

Wenn das Leben durch die Finger rinnt

Es ist die Mittagszeit (oder: Süditaliens)

Die Lebende und Tote durcheinander wirft

Wie sich der Schatten von den Fü.en trennt

Es ist von oben auf der erde weg

In der Gegenstunde

Schrei laut Mäher

Dass du ein Lebender bist und kein Toter“.

Commenti

Post popolari in questo blog

Die Nacht von Laszlo de Simone: Einfach kompliziert: Schwierigkeiten beim Hin und Her

Innamorarsi heißt: sich verlieben , aber far  innamorar:   Verlieben  machen ? Klingt schräg. Lieber hölzern: Dazu bringen sich zu verlieben ? Wenn Magie im Spiel wäre, und das ist nie auszuschließen, könnte auch   verzaubern gehen, dann wäre fürs Deutsche immerhin Poesie drin, aber die Liebe aus dem Spiel. Kurz: un fiore/ tutti quanti ci fa  innamorar : Eine Blume, die uns alle so verzaubert, dass wir uns  verlieben ? Hier versuch ichs etwas anders. Klingt prätentiös, was De Simones Texte nicht tun. Sind immer leicht und fliegen. La notte Cela i ladri e cela anche un fiore Sfuggito al giorno ma non a vento e pioggia E tutti quanti ci fa innamorar E io vorrei tornare Die Nacht Verbirgt Diebe und birgt auch eine Blume Die dem Tag entwischt, doch Wind und Regen nicht Und wir alle, verzaubert, verlieben uns Und ich möchte zurück Zurück wohin? Nu: Godere finden wir im Wörterbuch als genießen und denken an ältere Tanten, welche sich abends ...

Un magna, magna, besungen von Myss Keta

  Myss Keta, Meisterin der anmutigen Vulgarität, besingts Scheinehirtentum kunstvollst, das Römische,  mit “Cafonal”. Dass da in Italien Faschisten an der Regierung sind, könnte ja beunruhigen. Beißen  aber gar nicht, vorerst. Die sind radikal vor allem darin, die Rechten auf alle wichtigen  und unwichtigen Direktorenposten zu setzen oder sitzen zu lassen, wo alle andern  fliegen*. Seit dem ersten Tag der Regierung ist im ganzen Lande ein Gemauschel** im Gange, das im Mutterland des Klüngels seinesgleichen suchte. Überall Faschisten  am Ruder also? Eher ein Haufen von Leuten ohne jede Qualifikation außer  der, verwandt zu sein oder befreundet. Meistens sone, denen man keine fünf Euro  leihen würde. Aber das sind moralische Kategorien. Führen ja zu nichts: Moral teilt: der eine entrüstet sich, der andre gähnt. Myss Keta hingegen zieht aufs Feld der  Ästhetik, ins Gelände, wo eine/r so oder anders geht und redet und isst. Die Frage:  ...

Andrea de Laszlo Simone: Vertikale Welt: es geht runter!

Ich lebe Aber ich habe keine Wahl und keinen Grund Kommen ins Trudeln? Was singt der da? Fröstelt’s? Friert’s dich, Marie? „Das  Leben ist kurz und eng ist es auch“? Das sind so Popsongs, wie das wortreichere “Kunst des  Gehenlassens” von Baustelle: gehen aufs Letzte, wie es einmal die Philosophie tat. Wie das Lied  von Baustelle lehrt dieses: Frag nicht, geh! Dazu: Sag es, sprich es aus! Lehrt auch nicht  wirklich, wie der Wüstenprediger, tut eher das, was Philosophen tun: Es drückt aus, was wir alle  wissen, weil es gut ist, das klar auszusprechen, trifft, in den sehr einfachen Worten Andrea de Laszlo  Simones. Vivo Ma non ho scelta né un motivo Ich lebe Aber ich habe keine Wahl und keinen Grund Il mondo è un tipo irrazionale Die Welt ist ein irrationaler Typ Macht, was er will Gibt keine Erklärung Du solltest Die Zeit nutzen, die bleibt Bevor auch das kleinste Ideal. in deinem Herzen aufhört zu brennen. Es zittert schon vor Angst Das weiß ich gut. La v...